Es geht jedoch auch anders, wie Dr. Jan Hennings aus der Klinik Manhagen in Großhansdorf erläutert. Er setzt auf die Wiederherstellung des Original-Kreuzbands, welche weitgehend die natürlichen Eigenschaften des Gelenks erhält.
Herr Dr. Hennings, wofür brauchen wir überhaupt das Kreuzband?
Dr. Hennings: Das Kreuzband sorgt dafür, dass Oberschenkel und Schienbein nur in geringen Grenzen gegeneinander verschoben werden können. Reißt es, so verliert das Kniegelenk seine Stabilität und es kommt zum sogenannten Schubladenphänomen. Wird diese Instabilität nicht behoben, so macht sie sich in der Regel nicht nur beim Gehen bemerkbar, sondern sie führt langfristig auch zu einer Abnutzung des Gelenkknorpels, also einer Kniearthrose. Während man früher aufgrund der schlechteren Funktionalität des Gelenks oft nur Sportlern zur Operation riet, strebt man deshalb heute generell eine Rekonstruktion an.
Meist wird heute eine Kreuzbandplastik vorgenommen, d. h. das gerissene Band wird entfernt und durch ein Transplantat aus der Patella-, Semitendinosus- oder Quadricepssehne ersetzt. Sie dagegen nähen das gerissene Band. Wie funktioniert das?
Dr. Hennings: Bei der von uns angewandten Technik wird das Band arthroskopisch genäht. Die Schlüssellochtechnik, bei der wir nur wenige kleine Schnitte benötigen, ist dabei der Schulterchirurgie entlehnt. Das gerissene Band wird in einer Durchflechtungsnaht durch den Bandstumpf geführt und mit nur 4,5 mm großen Knochenankern im anatomischen Zentrum refixiert. Zusätzlich frischen wir den Bandstumpf an, um das Einwandern von Stammzellen in den Defekt anzuregen. So soll die Naht möglichst schnell mit neuem Gewebe durchbaut werden. Diese Verfahrens-weise ist bereits aus der „Healing-Response“-Technik bekannt; hier wird jedoch das gerissene Band nicht genäht, sondern lediglich in die anatomische Position gelegt, während das Bein mit einer Orthese in gestreckter Stellung ruhiggestellt wird. Bei dem von uns verwendeten Verfahren ist das nicht nötig.
Was sind die Vorteile dieser Vorgehensweise?
Dr. Hennings: Dadurch, dass wir das Kreuzband nicht ersetzen, bleibt auch der synoviale Schlauch um das Band mit allen Gefäßen und Propriozeptoren erhalten. Das bedeutet, dass Betroffene die intuitive Koordinations- und Reaktionsfähigkeit behalten, die sonst mühsam wie-der antrainiert werden muss. Besonders Leistungssportler benötigen nicht zuletzt aufgrund dieser nach einer herkömmlichen Kreuzbandplastik auftretenden „Lernphase“ eine lange Trainingszeit, bis sie wieder zur gewohnten Form zurück-kehren. Dagegen berichten die meisten unserer mit der Nahttechnik versorgten Patienten, dass sich das Knie bereits nach kurzer Zeit „wie früher“ anfühlt und auch im Alltag keine Unsicherheit auftritt. Ein weiterer Vorteil ist die deutlich schnellere Rehabilitation gegenüber einem Ersatz des Kreuzbands. Normalerweise ist nach nur sechs Monaten die Sportfähigkeit wieder hergestellt; bei anderen Verfahren kann die knöcherne Integration teilweise bis zu einem Jahr, die vollständige synoviale Einheilung des Transplantats sogar bis zu zwei Jahren dauern.
Welche Patienten sind für dieses Verfahren geeignet?
Dr. Hennings: Wir gehen davon aus, im besten Fall zwischen 20 und 30 Prozent aller Kreuzbandrisse solcherart versorgen zu können, wobei der Eingriff möglichst nicht später als drei Wochen nach der Verletzung erfolgen sollte. Nicht anwendbar ist die Technik allerdings bei in der Mitte gerissenen Kreuzbändern, die unter Quastenbildung aufspleißen und daher nicht genäht werden können. Zudem wäre die Blutversorgung an dieser Stelle nicht ausreichend für ein Zusammenwachsen.
Wie gehen Sie bei Patienten vor, bei denen das Kreuzband nicht genäht werden kann?
Dr. Hennings: Um jedem Patienten die bestmögliche Versorgung bieten zu können, streben wir in jedem Fall eine nach der individuellen Situation ausgewählte Technik an. Das bedeutet für uns, dass auch bei der Kreuzbandplastik das beste Transplantat dasjenige ist, welches die Anforderungen im spezifischen Fall am besten erfüllt. Nicht für jeden Patienten kommt idealerweise die gleiche Sehne zum Einsatz, obwohl dies häufig so gehandhabt wird. Wir gehen davon aus, mit dieser differenzierten Vorgehensweise die Möglichkeiten der modernen Kreuzbandchirurgie optimal aus-schöpfen zu können.
Herr Dr. Hennings, haben Sie vielen Dank für Ihre Ausführungen!